Mensch versus Natur

Mensch versus Natur
Mensch versus Natur
 
Der westliche Wohlstand, der auf steigendem Wirtschaftswachstum in Verbindung mit zunehmendem Rohstoff- und Energieverbrauch beruht, kann nicht zum Lebensstandard von zehn Milliarden Menschen werden. Wird jedoch davon ausgegangen, dass jedem Erdbewohner in etwa die gleichen Verbrauchsmengen zustehen, und wird dabei der Begrenztheit der Umweltgüter ernsthaft Rechnung getragen, so müssen Produktions- wie Konsumstrukturen in den »wohlhabenden« Ländern radikal geändert werden. Eine dauerhaft umweltgerechte Entwicklung, die im Grunde alle wollen und zu der es keine Alternative gibt, ist ohne Restriktionen, also ohne ein spezifisch asketisches Element humaner Daseinsgestaltung, nicht zu realisieren.
 
Was eine Umstellung auf ein solches »nachhaltiges Wirtschaften« für die Menschen der westlichen Wohlstandsgesellschaft bedeutet, hat die niederländische Sektion der Umweltorganisation »Friends of the Earth« für ihr Land ausgerechnet. So könnte jeder Holländer täglich beispielsweise nur noch etwa 20 Kilometer mit dem Auto, 50 Kilometer mit dem Bus, 65 Kilometer mit der Bahn oder 10 Kilometer mit dem Flugzeug zurücklegen. Eine ähnliche Berechnung ließe sich auch für alle anderen Stoffströme erstellen. Sie zeigte zudem, dass uns unter dem Gesichtspunkt »nachhaltigen Wirtschaftens« jeweils lediglich ein bestimmtes Quantum an Abfall »zusteht«.
 
Generell kann man davon ausgehen, dass die Nutzung einer Ressource prinzipiell nicht größer sein darf als ihre Regenerationsrate und die Freisetzung von Stoffen nicht die Aufnahmefähigkeit der Umweltmedien übersteigen darf. Dies bedeutet, es ist eine radikale Veränderung des Wirtschaftsstils vonnöten. Statt eines progressiven Wachstums ist ein ausgeglicheneres, moderates Wachstum mit verlangsamten Innovations- und Modezyklen notwendig. Einen sol- chen Wandel thematisierte der britische Volkswirtschaftler John M. Keynes, wenn er, freilich in anderem Zusammenhang, schon 1956 von einem Übergang zu einer stationären Wirtschaft aufgrund von Sättigungsgrenzen innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts ausging. Die Sichtweise kommt auch in der Diskussion um »qualitatives Wachstum« oder »sustainable development« zum Ausdruck. Hier wird deutlich, dass die bisherige volkswirtschaftliche Gesamtrechnung die Wertschöpfung stark überzeichnet, da bei der Ermittlung des Bruttosozialprodukts beispielsweise Umweltschäden nicht abgezogen werden. Zudem führt die nachgeschaltete Minderung von wachstumsinduzierten Umweltschäden sogar zu positiven Steigerungsraten. Grundlage ausschließlich quantitativ definierten Wachstums ist somit häufig eine erhöhte Produktivität, die weder auf den Arbeitsmarkt noch auf die natürliche Umwelt Rücksicht nimmt. Dabei sind negative Begleiterscheinungen solchen Wirtschaftens, wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, nur noch mithilfe höherem Wirtschaftswachstum auszugleichen.
 
Einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten Ansätze, die verstärkt auf ökologische Effizienzsteigerungen und somit qualitatives »Wachstum« setzen. Sie werden strukturelle Verschiebungen auslösen, die Gewinner, aber auch Verlierer haben werden. Die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen Prozesse gleichen sich jedoch auf gesamtwirtschaftlicher Aggregationsebene möglicherweise aus. Bei der Analyse von entsprechenden Maßnahmen empfiehlt es sich daher, unterschiedliche Maßstabsebenen in den Blick zu nehmen. Dazu gehören branchen- und regionalwirtschaftliche Effekte ebenso wie internationale Verflechtungen.
 
Die Globalisierung der Umweltprobleme und die Internationalisierung der Umweltpolitik haben den traditionellen Ansätzen der volkswirtschaftlichen wie auch der regionalen Umweltökonomie neuen Auftrieb gegeben. Vor allem im Rahmen der jüngsten »Standortdebatte« wird hinsichtlich der Schlüsselgrößen »Wachstum« und »Beschäftigung« verstärkt ein Bezug zur Umweltqualität als Standortfaktor hergestellt. Betrachtet man die zur Verfügung stehenden Instrumente der nationalen und internationalen Umweltpolitik, kann eine Verminderung von Umweltschäden auf verschiedenen Stufen des Schädigungsprozesses ansetzen.
 
Abschließend ist festzuhalten, dass sich die durch die Technosphäre des Menschen hervorgerufenen Probleme des Ökosystems nicht allein wiederum mit technischen Maßnahmen beheben lassen. Wenn sich mittelfristig nicht die Einstellung des Menschen gegenüber der Natur aufgrund eigener Einsichten nachhaltig ändert, muss die nationale Politik, in enger Abstimmung mit der Völkergemeinschaft und den internationalen Umweltorganisationen, strengere Rahmenvorgaben für umweltgerechtes Verhalten entwickeln.
 
Die Vision Dennis L. Meadows' von der raschen Endlichkeit unserer mineralischen Ressourcen, die der amerikanische Zukunftsforscher in seinem 1972 erschienenen Buch »Die Grenzen des Wachstums — Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit« entwickelt, geht zwar an der Wirklichkeit vorbei, denn die Vorräte der meisten Rohstoffe sind sehr viel größer als vom Club of Rome vor drei Jahrzehnten angenommen wurde. Dennoch bleibt die Warnung an die Menschheit bestehen: Heute stehen wir nicht mehr unmittelbar vor der Endlichkeit unserer Rohstoffe, sondern eher vor der Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts unserer Erde, das durch die unbedachte Rohstoffausbeutung und die damit verbundene Umweltbelastung in Gefahr gerät.
 
Prof. Dr. Hans-Dieter Haas, München

Universal-Lexikon. 2012.

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